Die Doppelmoral der Corona-Krise:
Die ganze Welt steht still wegen Corona. Politiker*innen aller Parteien beweisen uns momentan: Sie können entschieden handeln, können klare Anweisungen geben und auch negative Folgen in Kauf nehmen. Die durchgesetzten Maßnahmen werden von der Bevölkerung überwiegend als notwendig akzeptiert. Wir stellen fest: Wenn die Bundesregierung handeln will, dann kann sie das!
Jedoch erstaunt mich die Scheinheiligkeit der Bundesregierung in dieser Krise. Plötzlich gilt es um jeden Preis, jedes Menschenleben zu retten. Oder besser gesagt jedes deutsche Leben. Denn, während die Bundesregierung alles tut, um Menschen in Deutschland zu schützen, ertrinken Menschen auf dem Mittelmeer und Geflüchtete auf der Insel Lebsos leben unter katastrophalen humanitären Bedingungen. Der Europaabgeordnete Erik Marquardt, der sich seit Wochen auf Lesbos befindet, fasst es treffend zusammen: „Wir hören staatstragende Reden Europäischer Regierungen, wer wir als Europa sein wollen. Aber wir sollten an die Außengrenzen schauen und endlich handeln. Dort zeigt sich wer wir sind.“ Und wer sind wir in Deutschalnd nun? Ein Land, das sich bereit erklärt die geradezu lächerlich kleine Anzahl von 50 Kindern aufzunehmen, während Zehntausende leiden. Wir sprechen davon in der Corona-Virus-Krise Solidarität mit unseren Mitmenschen zu zeigen. Wo bleibt diese Solidariät im Umgang mit Geflüchteten?
Die Corona-Pandemie führt uns außerdem die Machtverhältnisse unserer Welt vor Augen: Bei einer Krankheit von der auch Europa und die USA maßgeblich betroffen sind, werden extreme Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung einzudämmen. Das ist natürlich auch richtig! Aber warum wird nicht mit derselben Vehemenz gegen Krankheiten wie Tuberkulose (1.5 Millionen Todesfälle 2018, WHO Global Tuberculosis Report), Malaria (435.000 Todesfälle 2017, WHO World Malaria Report) oder AIDS (770.000 Todesfälle 2018, WHO Progress Report) vorgegangen? Könnte das etwa damit zusammenhängen, dass solche Krankheiten primär in Ländern des globalen Südens auftreten?
Ähnlich verhält es sich mit den Folgen des Klimawandels: Menschen sterben oder verlieren ihr zu Hause. Aber eben überwiegend nicht in Deutschland. Die Corona-Krise zeigt uns, dass die Bundesregierung durchaus in der Lage ist eine Krise wie eine Krise zu behandeln. Wo bleibt dieselbe Motivation Menschenleben zu retten, wenn es, um den Klimawandel geht? Denn eins ist sicher: Wenn wir nicht alles Mögliche tun, um den Klimawandel aufzuhalten werden deutlich mehr Menschen sterben, als durch die aktuelle Pandemie.
Aber man kann auch innerhalb der Landesgrenzen die Scheinheiligkeit der Bundesregierung erkennen. Laut der Deutschen Umwelthilfe sterben jedes Jahr mehr als 12.000 Menschen vorzeitig aufgrund von Feinstaubbelastung. Das sind, genau wie bei Corona, vor allem alte Menschen, sowie Menschen mit einer Lungenvorerkrankung. Diese Todesfälle haben jedoch in den letzten Jahren nicht dazu geführt, dass wirksame politische Maßnahmen ergriffen wurden. Warum nicht?
Die große Frage, die sich nun ergibt, ist Folgende: Wie können wir der Corona-Krise angemessen begegnen und gleichzeitig andere Krisen mit den gleichen ethischen Grundsätzen angehen? Die aktuell sichtbare und in diesem Artikel offengelegte Doppelmoral ist so nicht akzeptabel.
Von: Vivianne Schwedersky
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